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Veröffentlicht von Dennis Kallerhoff

Google Shopping, Idealo und die 500 Mio. € Klage


Die Nachricht vom 12.April kam für mich überraschend: idealo verklagt Google auf Schadensersatz wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung

Gestützt ist die Klage auf Googles Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung als Suchmaschinenbetreiber, um Googles eigenen Preisvergleichsdienst im Markt durchzusetzen. Die in der Klage geforderte Schadensersatzsumme wird von idealo mit rund einer halben Milliarde Euro (inklusive Zinsen) beziffert. idealo behält sich vor, diesen Betrag im Laufe des Verfahrens – nach entsprechender Auskunftserteilung durch Google – auch zu erhöhen. idealo erwartet einen sich über mehrere Jahre und Instanzen erstreckenden Rechtsstreit.

„Ein fairer Wettbewerb im Internet ist nur möglich, wenn Monopolisten wie Google andere Marktteilnehmer nicht zugunsten eigener Angebote benachteiligen dürfen. Wir wollen mit dem Verfahren ein Zeichen setzen, dass sich gegen das rechtsmissbräuchliche Verhalten von Google zur Wehr gesetzt werden kann. Das Verhalten von Google gefährdet die Angebotsvielfalt und Innovation im Internet und missbraucht das Vertrauen der Verbraucher. Die Schadenersatzklage ist für uns ein notwendiger und folgerichtiger Zwischenschritt in unserem Engagement für einen fairen Wettbewerb und Diversität im Markt sowie Preistransparenz für die Verbraucher“, sagt Dr. Philipp Peitsch, Geschäftsführer von idealo.

In der Presse wurde die Nachricht von vielen großen Nachrichtenseiten aufgegriffen, über eine bloße Wiedergabe der Pressemeldung ging es nicht hinaus. Daher möchte ich heute näher auf drei Fragestellungen eingehen:

  1. Was ist bei Google Shopping in den letzten Jahren passiert?
  2. Ist der Anspruch auf Schadensersatz von idealo gerechtfertigt?
  3. Ist die Höhe des Schadensersatzes angemessen?

Google Shopping – die Entwicklung vom häßlichen Entlein zur Plattform

Seit 2008 zeigt Google in Deutschland bei transaktionalen Anfragen über den Suchergebnissen Produktempfehlungen an. Bei einem Klick auf ein Produkt wird der Kunde auf die Website des Händlers weitergeleitet. Die Produktempfehlungen stammen aus dem Service Google Shopping. Natürlich bezahlen Teilnehmer (v.a. Händler) für die Klicks, wie auch bei AdWords in einem Auktionsverfahren.

Bei E-Commerce Unternehmen fließen heute fast 50% der Google-Budgets in Google Shopping, Budgets die früher an AdWords – oder eben Produktsuchmaschinen – gingen.

Um die idealo-Klage zu verstehen, muss man die Geschichte von Google Shopping verstehen. Ich unterteile diese in drei Phase.

Phase 1: Google Shopping aka Froogle wird eingeführt (2008 – 2014)

Eine Produktsuche (folgend als PSM oder CSS abgekürzt) von Google gab es schon lange. Seit 2004 bot Google diese unter dem Namen „Froogle“ in Deutschland an. Sie versteckte sich hinter einem der Tabs, wirklich gefragt war der Dienst nicht. Eine Suche nach „Preisvergleich“ zeigte „Froogle“ nicht in den ersten 100 Suchergebnissen. 2007 änderte Google den Namen zu „Google Produktsuche“. Das war verständlicher, populärer wurde der Dienst damit nicht. Die Usability war schlecht, das Angebot weniger umfangreich als bei Wettbewerben und die Daten schlechter aufbereitet als bei idealo & Co.

Dann änderte Google die Ausspielung und integrierte die Produktempfehlungen auf der Suchergebnisseite ganz oben. Idealo schreibt dazu in der Pressemeldung, bezugnehmend auf die EU-Untersuchung:

Google platziert seinen Dienst in Kenntnis dieser Umstände und ohne Berücksichtigung dieser Schwächen in den Suchergebnissen oberhalb der Angebote der Konkurrenz: „Here is what we all agreed to: * The PS onebox [Product Universal] should trigger at the top any time the top result is from another comparison shopping engine…“.

Die Leidtragenden waren v.a. Preisvergleiche & Onlineshops, die gute Platzierungen in den organischen Suchergebnissen hatten. Plötzlich konnte jeder Onlineshop seine Produkten im sichtbaren Bereich platzieren – nicht gemacht Hausaufgaben bei Artikeldaten, technischem SEO & UX fielen weniger ins Gewicht. Das taten auch viele Shops, Google Shopping gewann schnell an Relevanz für Werbetreibende. Die CPCs stiegen, Google konnte – wieder einmal – den Seitenwert der Suchergebnisseite erhöhen.

Die Produktbox wurde anfangs nur bei transaktionalen Begriffen im Short Head ausgespielt, PSMs konnten bei Long Tail-Keywords noch Traffic gewinnen. Übrigens: Anfangs konnten auch Produktsuchmaschinen an Google Shopping teilnehmen, der Nutzer landete in dem Fall auf einer Detailseite der PSM.

Phase 2: Google Shopping allein zu Haus (2014 – 2017)

Irgendwann 2014 schließt Google PSMs von Google Shopping aus, offiziell aus „UX-Gründen“. Nur noch Onlineshops dürfen an Google Shopping teilnehmen. Google spielt die Produktempfehlungen zunehmend mehr im Long Tail aus, die CPCs steigen. Der organische Traffic wird auch dort zurückgeschraubt, nur noch ca. 20% der sichtbaren Bereiches der Ergebnisseite ist non-paid. Leidtragende: wieder PSMs, die mit einem großes Sortiment und guten Produktdatenkatalogen gut im Long Tail ranken.

Seit 2015 ermittelt die EU gegen Google. Der Vorwurf: Google nutzt seine Monopolstellung bei der Online-Suche um eigene Dienste (Google Shopping, Google Reisevergleich, etc.) besser zu vertreiben. Im Juni 2017 muss Google eine Rekord-Kartellstrafe von 2,42 Mrd. Euro zahlen. Die Süddeutsche Zeitung fasst zusammen:

Die Kommission ist der Ansicht, Google habe seine Marktmacht als Suchmaschinenbetreiber missbraucht, um Millionen Nutzer auf die Preisvergleichsplattform Google Shopping zu lenken. Sie wirft dem Konzern vor, bei den Google-Suchergebnissen die eigenen Anzeigen ganz oder sehr weit oben anzuzeigen, auch wenn diese nicht unbedingt die größte Auswahl oder die niedrigsten Preise bieten. Der am besten platzierte Wettbewerber werde demnach im Schnitt erst auf der vierten Seite angezeigt. Auf Seite eins der Ergebnisse entfielen aber etwa 95 Prozent aller Klicks der Nutzer.

Google hat 90 Tage Zeit seine Praktiken zu ändern. Das machen sie, und rollen die Änderungen aus, die auch noch noch gültig sind.

Phase 3: Google Shopping als Plattform (2017 – heute)

Google greift in die Trickkiste der Plattform-Ökonomie und präsentiert eine smarte Lösung: Google Shopping wird zur Plattform umgebaut und für Dritt-Anbieter geöffnet. Händler können frei entscheiden, ob sie ihre Produkt in Google Shopping (a) via Google oder (b) über eine anderen Produktsuche platzieren möchten. Der Kunde landet trotzdem beim Onlineshop – zwar über eine Zwischenseite zum Tracking, aber das merkt ohnehin kaum jemand. Für den Nutzer ändert sich nichts.

Google hat die Auflage, dass sie eine Marge auf Gebote auf Google Shopping platziert über Google nehmen müssen, nach Industrieschätzungen liegt diese bei ca. 20%. D.h. wenn ein Produkt mit einem CPC von 40 Ct. eingestellt wird, geht es nur mit 36 Ct. in die Auktion. Andere CSS-Partner haben nicht die Auflage, und können so einen Preisvorteil bei Google Shopping an die Händler weitergeben. Ergo: möchten Shops die gleiche Leistung zu einem günstigeren Preis beziehen, sollten sie mit einer PSM, die nicht Google heißt, arbeiten. Fast alle großen Onlineshops tun dies heutzutage auch.

Die meisten etablierten CSS nehmen am neuen Programm teil, viele neue Alibi-Suchmaschinen ploppen auf. Auch Shopping24 erweitert sein Angebot und ist heute laut searchmetrics „die erfolgreichste externe CSS bei Google Shopping in Deutschland ist die Produktsuchmaschine […] Shopping24 mit 27 Prozent der Anzeigen.“ 

Google Shopping war im letzen Jahr der Wilde Westen: fast jede Woche Änderungen an Richtlinien, unklare Kommunikation innerhalb Googles und neu entstehende PSMs jeden Tag. Was wie ein Entgegenkommen auf PSMs seitens Google aussieht, ist nichts anderes als eine Verschärfung des Wettbewerbs. Durch eine Öffnung für PSMs wird der Wettbewerb auf Google Shopping verschärft, was zu einer Erhöhung des CPCs führt. Mehr Cash für Google. Der systemische Nachteile einer Verbindung von Plattform „Suche“ und Service „Produktsuche“ wird nicht behoben.

Ist der Anspruch auf Schadensersatz von idealo gerechtfertigt?

Die EU-Komission ist nach eingängiger Prüfung zum Schluss gekommen ist, dass Google eine Monopolstellung illegal ausgenutzt hat. Im Fact Sheet „Antitrust: Commission fines Google €2.42 billion for abusing dominance as search engine by giving illegal advantage to own comparison shopping service“ werden die belastenden Punkte aufgelistet:

The Commission investigated Google’s market position in general internet search since 2008, and the Decision found Google to be dominant in each country since 2008, except in the Czech Republic where the Decision found Google to have been dominant since 2011. This assessment is based on the fact that Google’s search engine has held very high market shares in all EEA countries, exceeding 90% in most. […]

Since the start of the abuse in each country, Google’s comparison shopping service has made significant gains in traffic, whilst rival comparison shopping services have suffered a decrease in traffic from Google’s search results pages on a lasting basis.

Google hat seine Monopolstellung bei der Suche genutzt, um seine PSM unfair zu bevorzugen. Durch die Platzierungen der eigenen Produktempfehlungen über den organischen Suchergebnissen steigt die Popularität von Google Shopping. Gleichzeitig sind haben viele Produktsuchmaschinen SEO-Traffic verloren, traditionell ein wichtiger Kanal für diese.

Die EU-Kommission betrachtet Web-Suche und Produktsuche als zwei unterschiedliche Märkte, sieht Google Shopping also nicht als nativen Bestandteil der Websuche. Dieses sehe ich ebenso, da Google (a) zwei unabhängige Werbeprodukte für Suche & Shopping geschaffen hat, die (b) unabhängig verauktioniert werden, (c) bis heute ein unterschiedliches Tool-Set benutzen und (d) die innerhalb von Google von unterschiedlichen Teams entwickelt werden.

Ist idealo durch den Mißbrauch ein Schaden entstanden? Vermutlich ja, aber das müssen Juristen entscheiden.

Ein Schaden wäre jeder PSM entstanden, die viele Top-Rankings in organischen Suchergebnissen hatte. Diese Beschreibung trifft sicher nicht auf alle PSMs zu, auf idealo allerdings schon. Das Unternehmen ist noch heute unter den Top10-Seiten nach SEO-Sichtbarkeit zu finden, deutlich vor Zalando, OTTO oder About You. Nur Amazon ist im E-Commerce Umfeld sichtbarer. Zudem verfügt idealo über eine gesunde Positionsverteilung mit über 50% der Rankings auf Seite 1, 10% sogar auf den Positionen 1 oder 2.

Neben dem monetären Schaden im SEO, gibt es auch strategische Implikationen: idealo versucht sich seit einigen Jahren als Plattform mit direkter Kaufmöglichkeit zu positionieren, um die Abhängigkeit von Google zu reduzieren. Sie möchten zur direkten Anlaufstelle für Kaufinteressierte werden, und die gesamte Customer Journey von der Informationsphase bis zum Kauf begleiten. Kritisch sind für solche Daten ein gutes CRM, um eine direkte Kundenbeziehung aufzubauen. Jeder Seitenbesuch füttert Daten in ein CRM, welche später für Personalisierung, etc. genutzt werden können.

Ich glaube, dass idealo ohne die Google Shopping Entwicklung heute in diesem Strategie-Wandel weiter wäre, da sie (b) eine höhere Brand-Awareness und (b) bessere CRM Daten hätten. Wer bei Google nach Produkten sucht, und immer wieder bei idealo landet, lernt irgendwann die Assoziation „Kaufabsicht = Start bei idealo.de“. Zumindest ist es möglich. In heutigen Zeiten ist dieser Spot an Amazon gegangen. Allerdings hatte Amazon vor 10 Jahren weder die Marktrelevanz von heute noch das umfangreiche Produktsortiment.

Ist die Höhe des Schadensersatzes angemessen?

§252 BGB definiert, dass Schadensersatz auch entgangenen Gewinn umfasst: „Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.“

Idealo setzt diesen Schaden mit 500 Mio. € an. Klingt erst einmal hoch. Realistisch? Ich versuche mich an einer exemplarischen Rechnung:

Aktueller SEO-Traffic: Ca. 50% des Traffics erhält idealo durch organischen Google Traffic. Bei Laut northdata erzielte idealo 2017 einen Umsatz von 100 Mio.€. Im GJ 2018 berichtet Springer einen Umsatzrückgang im Vertical „Marketing Media“ von 12%, damit würde ich idealo aktuell auf ca. 85-90 Mio. € Umsatz schätzen. Der SEO-Umsatz liegt damit schätzungsweise bei 43 Mio. €. 1

Viele organische Treffer sind durch die Einblendung von Google Shopping aus dem sichtbaren Bereich verschwunden, die daraus resultierenden Klicks eingebrochen. Laut einer (alten) Sistrix-Analyse gehen 75% der Klicks auf Position 1 + 2, nur 25% der Klicks auf 3-10. Um den möglichen SEO-Traffic zu schätzen, gehen wir davon aus, dass idealo seinen aktuellen SEO-Traffic nur (!) mit Positionen 3-10 macht, die ersten beiden Ergebnisse wurden quasi durch eine Einblendung der Produktempfehlungen „entfernt“. Heißt: ohne Google Shopping – also mit den Klicks aus Position 1+2 – könnte idealo 4x mehr SEO-Traffic erhalten. Hieße: einen möglichen SEO-Umsatz von 175 Mio. p.a.

Der Wert ist wahrscheinlich deutlich zu hoch und berücksichtigt einige Marktentwicklungen nicht. Drei Beispiele:

  • Steigender Mobil-Traffic mit weniger sichtbarer Fläche für organische Suchergebnisse.
  • Durch eine steigende Anzahl der Ad Extensions nehmen Werbeanzeigen mehr Platz als früher ein, weniger organische Ergebnisse sind im sichtbaren Bereich zu sehen.
  • 2016 ist die Anzahl der Ads bei transaktionalen Anzeigen von drei auf vier gestiegen, die rechten Anzeigen verschwanden. Dies führte zu weniger Clicks auf organische Suchergebnisse.

Daher nehme ich einen Abschlag von 60% für 2008, dem Jahr wo Google Shopping breitflächiger ausgerollt wurde, und erhöhe den Abschlag jährlich um 2%.

Im Ergebnis kommen wir bei einem Schaden von ca. 430 Mio. € raus. Abhängig von den Abschlägen und der verwendeten Logik kann der Schaden sicher noch viel höher, oder viel geringer werden. Diese Rechnung soll nur verdeutlichen, dass der geltend gemachte Schaden seitens idealo keine Fantasiezahl ist, sondern auch in der Größenordnung durchaus realistisch scheint.

Was nun?

Es wird ein interessanter Prozess werden. In meinen Augen hat idealo, gedeckt durch die EU-Entscheidung, einen nachvollziehbaren Case. Ich vermute, dass es nach einem langjährigen Rechtsstreit auf einen Vergleich hinauslaufen wird und Google eine Summe > 250 Mio. € zahlt. Mit diesem zusätzlichen Cash, kann idealo dann seine Plattform-Ambitionen weiter ausbauen.

Bildquelle: Sebastian Pichler von Unsplash


  1. Ich nehme eine identische Conversion Rate über alle Traffic-Kanäle an. ↩︎

E-Commerce Junkie seit 2006 | Freund von Digitalisierung, Automatisierung und guten Online-Strategien

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