Analysen
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Veröffentlicht von Dennis Kallerhoff

Verlage in 2018 – von Facebook zu einer direkten Kundenbeziehung


Eine starke vierte Gewalt ist wichtig, vielleicht sind Journalisten in Zeiten von Fake News & Donald Trump für die Gesellschaft sogar wichtiger als jemals zuvor. Verlage brauchen dafür ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Guter Journalismus muss sich auch lohnen.

Im Artikel „Blaupause für die Digitalisierung“ bin ich ausführlich auf das Zukunftsbild der New York Times und ihre Antworten eingegangen. Heute lässt sich festhalten: die Strategie ist für das Unternehmen bisher aufgegangen. Das letze Jahr lief gut. CNBC schreibt zu den Q4 Ergebnissen:

The media company posted a 10.1 percent boost in total revenues from the year-earlier quarter to $484.1 million. That far surpassed estimates of $467.3 million in a Thomson Reuters analyst survey.

Nach der Stagnation der letzten fünf Jahre wächst der Umsatz des Unternehmens in Q4 wieder, v.a. getrieben durch einen unerwartet starken Anstieg an digitalen Abonnenten.

Nicht zum Wachstum beigetragen haben übrigens die Werbeerlöse: der leichte Anstieg bei digitaler Werbung, konnte den starken Abfall bei klassischer Werbung nicht ausgleichen.

Auch die Washington Post berichtet von einem guten Jahr mit einer Verdopplung der digitalen Abonnenten.

Aber: sind die beiden Erfolgsstories repräsentativ für die gesamte Zeitungsbranche? Nein, absolut nicht.

Die Macht der Plattformen und Erlösströme

Das Reuters Institute gibt jährlich im Digital News Project einen Ausblick auf den Stand der Nachrichtenbranche. Mehr als 100 Chef-Redakteure, CEOs und digitalen Vordenkern wurden für den Report „Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions“ nach ihrer Einschätzungen zum Medienjahr 2018 befragt.

Insbesondere die ersten 20 Seiten sind sehr lesenswert. Die Einschätzungen teile ich, sie geben ein präzises Bild über das Dilemma vieler Medienhäuser. Auf zwei Hauptpunkte möchte ich näher eingehen.

Die Macht der Plattformen

Soziale Medien sind eine hochrelevante Nachrichtenquelle. Junge Menschen lesen Nachrichten eher auf Facebook, Twitter & Co als auf den Webseiten der Verlage. Soziale Medien sind eine wichtigere Quelle als Print und werden in ihrer Bedeutung wahrscheinlich TV überholen. Damit nehmen diese Plattformen eine Gatekeeper-Rolle ein.

Jahrelang sind Verlage nur zu gerne auf den Social Media-Zug aufgesprungen und haben von der kostenlosen Reichweite profitiert. Am besten mit nach Aufmerksamkeit schreienden Überschriften, die zum Klick auf die eigene Website animieren. Dass damit kein nachhaltiges Leserverhältnis aufgebaut werden kann, verwundert kaum.

Nur: die Werbegelder gehen zu Facebook, und nicht wie gehofft zu den Publikationen. Die Nutzer sind Facebook gegenüber loyaler.

Nun kommt ein zweites Problem hinzu: Facebook hat keine Lust mehr auf kostenlose Reichweite. Es ist eine klare Tendenz zu bezahlten Posts zu erkennen. Nach den letzten Updates berichten viele Redaktionen einen Einbruch der Sichtbarkeit auf Facebook.

One example of this came in the autumn when, without warning, Facebook moved all publisher- posted content away from the news feed – which users see by default – to a new Explore Feed in six countries.10 For major Slovakian news sites, this meant an overnight 400% reduction in interactions and two-thirds loss of reach.

Auch wenn die zitierte Maßnahme nicht auf andere Länder ausgerollt werden soll: Experten erwarten, dass der Newsfeed-Algorithmus Medien-Veröffentlichung zunehmend weniger Aufmerksamkeit schenken wird. Die Fake-News-Debatte, der Facebook aktuell gegenübersteht, wird diese Entwicklung beschleunigen.

Unternehmen, die in den vergangenen Jahren in eine Klick-Maximierung investiert haben, und nicht in ein direktes Verhältnis zum Leser, bekommen ein Problem. Daher sehen wir zunehmend den Versuch von Publikationen an Nutzerdaten zu kommen. Der Daily Telegraph aus UK möchte die Anzahl der registrierten Nutzer in 2018 auf 10 Mio. steigern – eine Vorstufe der Light-Paywall. Medien brauchen eine direkte Beziehung zum Nutzer, um überhaupt weitere Erlösströme aufzubauen zu können.

Mark Thompson, CEO der NYT, gibt folgenden Ausblick:

Another gigantic news year. Having been burned, platforms somewhat retreat from news. Most news organizations contemplate or launch pay models, most of which fail. Given the negative forces pressing on advertising (print and digital), economic distress in the industry grows. Further consolidation is one result. AI/intelligent assistants solving for consumer needs across devices, environments, media is the big tech story of the year.

Multiple Erlösströme

Verlage bauten jahrelang auf zwei Erlösströme: Abonnements und Werbung. Abonnements von Printmedien sinken und konnten online bislang kaum aufgefangen werden. Werbeerlöse brechen weg. Nachvollziehbar, dass die Branche nun versucht weitere Erlösmodelle zu finden. Der Report spricht von durchschnittlich sechs Erlösströmen für Verlage.

Leider ist es bisher den wenigsten Verlagen gelungen, multiple Erlösströme aufzubauen. Gerade in den einkommensschwächeren Ländern Südeuropas fällt dies schwer.

Ein positives Beispiel ist die „Zeit“. Das Hamburger Unternehmen betreibt einen Onlineshop) und probiert ihre einkommensstarke (Abonnenten-)Zielgruppe anderweitig zu monetarisieren, z.B. mit exklusiven Zeit-Editionen. Laut Expertenaussagen verkaufen sich diese gut.

Journalismus 2.0

Wie ein modernes Medienunternehmen aussehen kann, zeigt Joel Kaczmarek im Podcast mit Alex auf. Digital-Journalist 2.0. Es geht darum „relevante Themen [der digitalen Wirtschaft] konstruktiv und ganzheitlich aufzuarbeiten und in qualitativer Tiefe zu betrachten.“, schreibt digitalkompakt in seiner Vision. Die gewählten Medienformate – seinen es Podcast, Blog, Events oder kurze Executive Summaries – sind sekundär. Ich glaube, dass in der Zielgruppe aus Führungskräften, Entschieden und digitalen Experten eine Zahlungsbereitschaft für das aufbereitete Wissen besteht.

Für Fachpublikationen ist dies ein progressiver Weg. Allerdings weiß ich nicht, inwiefern er auf große Publikationen mit breitem Nachrichtenspektrum übertragbar ist.

What’s Next?

Kurz gesagt: ich weiß es nicht. Das Geschäftsmodell „Verlag“ schien vor 30 Jahren einfach: Schreibe Artikel, verkaufe Werbung und Abonnements. Nach Cynefin ist dies ein kompliziertes Problem, ein lösbares Problem.

Heute ist „Verlag“ ein komplexes Problem. Niemand weiß, wie ein Medienunternehmen in 5 Jahren aussehen muss. Sehr wahrscheinlich gibt es mehrere, ausgeglichene Erlösströme und die Unternehmen brauchen eine direkte Beziehung zu den Lesern – online wie offline. Sie brauchen zwingend Wissen über die Leserschaft, sie brauchen digitale und technische Kompetenz, denn in eine analoge Welt führt kein Weg zurück. Gleichzeitig sollte eine ausgeglichene Berichterstattung nicht nur eine zahlungskräftigen Klientel vorenthalten sein. Viele Puzzle, die es zu lösen gilt.

Um in einer komplexen Welt bestehen zu können, müssen Verlage in einen Experimentiermodus kommen. D.h. Verlage brauchen eine Organisationsstruktur die ein schnelles Agieren erlaubt. Anders geht es nicht. Das haben uns zumindest alte Unternehmen gezeigt, die sich zu langsam an eine neue Umgebung angepasst haben. Heute sind sie in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Fotoquelle: Bild von G. Crescoli


E-Commerce Junkie seit 2006 | Freund von Digitalisierung, Automatisierung und guten Online-Strategien

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