Die heile Welt des Buchhandels
Vor ein paar Wochen habe ich mich ausführlicher mit dem lokalen Buchhandel beschäftigt. Dabei ging es (a) um die Konkurrenz zum Onlinehandel und (b) die Chance durch Events und lokale Verankerung auch weiterhin relevant zu bleiben – zumindest auf kleinem Niveau.
Spannend ist in diesem Zusammenhang die heutige Vorstellung der Zahlen von 2015 des Börsenvereins, dem Lobbyverein des traditionellen Buchhandels. Die Lage wird – wenig überraschend – etwas anders als in meinem Post eingeschätzt. Der Tagesspiegel schreibt dazu:
In den letzten zehn Jahren habe man die Herausforderungen durch das Internet hervorragend gemeistert und den Umsatz stabil gehalten. […] Schlechte Prognosen angesichts einer vermeintlich übermächtigen Konkurrenz wie Amazon seien nicht eingetreten, weil die Händler eine erfolgreiche Multi-Kanal-Verkaufsstrategie fahren und mit dem Tolino ein eigenes erfolgreiches E-Book-Lesegerät entwickelt haben. 80 Prozent der Buchhandlungen hätten eigene Web-Shops.
Mein Lieblingssatz ist folgender:
„Amazon steht heute da, wo die Buchbranche vor zehn Jahren stand, festgelegt auf ein Vertriebsmodell, das dem Kunden immer weniger ausreicht“, sagt Skipis. Umgekehrt überlegen jetzt Online-Händler, Läden zu eröffnen.
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Herrn Skipis, den Geschäftsführer des Börsenvereins, nicht vorwerfen. Drei Fragen zu seinen Anmerkungen:
(a) Wieso zieht aktuell gefühlt jede Branche die Eröffnung einer Amazon-Filiale in Seattle als Wendepunkt des Onlinehandel heran? Als wenn einige Filialen das Kerngeschäft oder die Strategie von Amazon auch nur ansatzweise ändern würden. Es wird mit Filialen keinen relevanten Shift der Ressourcen geben. Es arbeiten immer noch Tausende von Menschen u.a. in der IT & Logistik von Amazon und treiben neue Online-Konzepte voran.
(b) Multichannel wird als Erfolgsstrategie für den Buchhandel präsentiert. Über den Sinn und Unsinn von Multichannel-Strategien lässt sich schön diskutieren – ich verweise an Alex und Jochen. Die große Frage ist doch an dieser Stelle: Wie soll ein kleiner Buchhändler mit 1-2 Personen in der Lage sein die Kanäle Online & Stationär professionell zu bedienen, wenn sich selbst große Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern (die nicht Amazon heißen) schwer tun?
(c) Aus welchen Zahlen wird die positive Aussage für den gesamten Buchhandel abgeleitet? Das Magazin Buchmarkt fasst die Zahlen zusammen:
Bei einem Gesamtumsatz von 9,188 Milliarden Euro im Jahr 2015 (minus 1,4 Prozent zu 2014) haben die Buchgemeinschaften (minus 36,9 Prozent) und der Versandbuchhandel (minus 26,4 Prozent) die höchsten Einbußen zu verzeichnen. Der Sortimentsbuchhandel sei zwar mit 3,4 Prozent Minus zurückgegangen, habe aber dennoch mit 48,2 Prozent (4,43 Milliarden Euro) den größten Anteil am Gesamtumsatz. „Der Rückgang hat auch mit der sinkenden Frequenz in den Innenstädten zu tun. Betroffen ist schließlich der gesamte Einzelhandel“, kommentierte Riethmüller. Der Internetbuchhandel legte 6 Prozent zu und erreichte damit einen Anteil von 17,4 Prozent und 1,6 Milliarden Euro, etwa 50 bis 70 Prozent davon entfallen auf Amazon, wird geschätzt.
Wir haben also zahlenseitig die Situation, dass der Internet-Buchhandel der einzig wachsende Kanal ist und Amazon diesen Kanal mit einem Marktanteil von 50-70% klar dominiert. Mit diesen Zahlen würde ich mich schwer tun zu behaupten: „Amazon steht heute da, wo die Buchbranche vor zehn Jahren stand“.
Fazit: Viel Augenwischerei. Kann nach wie vor den Optimismus nicht verstehen. Bleibe bei meiner Einschätzung zu Chancen und möglichen Strategien.
Bildquelle: Michael Nukular, Flickr
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