Analysen
Analysen
Veröffentlicht von Dennis Kallerhoff

E-Commerce Traumberuf: Plattform werden


Der (aktuelle) heilige Gral im E-Commerce sind Marktplätze. Plattformen sind toll und klassischen Handelsmodellen überlegen. Aber ist die Strategieperspektive „Plattform werden“ heute wirklich noch ein realistisch erreichbares Ziel?

Einen Schritt zurück: Bei einem Marktplatz tritt der Anbieter als Mittler zwischen Kunden und Händlern auf. Der Anbieter ist der Plattformbetreiber. Er stellt die Infrastruktur, stellt „Regeln“ für den Handel auf der Plattform auf und hat den Kundenzugang. Verdienen tut er u.a. an jeder Transaktion, die über die Plattform läuft. Insgesamt eine attraktive Position. Warum?

  1. Netzwerkeffekt: Je größer das Netzwerk, desto besser funktioniert die Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage und desto umfangreicher die Daten/das Sortiment, in denen gesucht werden kann. Mehr Volumen schafft mehr Wert und lockt mehr Teilnehmer auf die Plattform. Das Ganze geht mit – mehr als linear – steigendenden Umsätzen einher. Gute Beispiele sind: (a) der Aufstieg von Facebook, (b) der Aufstieg von Google als Suchmaschine oder (c) Alibaba, welches 75% der chinesischen Transaktionen abwickelt.
  2. Kundenzugang: Im Normalfall besitzt der Plattform-Anbieter den Kundenzugang und kann diesen für seine Zwecke nutzen. Auch in der Kundenwahrnehmung steht die Plattform über dem Händler. Wahrscheinlich jeder sagt: „Ich habe bei Amazon bestellt.“ und nicht „Ich habe bei Händler xy auf der Plattform Amazon bestellt.

Kein Wunder also, dass das Wort „Marktplatz“ oder „Plattform“ in fast jeder E-Commerce Strategie von größeren Unternehmen auftaucht.

Die Frage ist: Können Händler heute noch zu Plattformen werden – zu richtigen Plattformen mit Umsatzrelevanz?

Der „Harvard Business Manager“ von Juni 2016 beschäftigt sich im Schwerpunkt mit Plattform-Strategien (sehr empfehlenswerte Ausgabe). Im Artikel „Der Wachstumsturbo“ werden 20 Unternehmen analysiert, die den Schritt von einem Produkt zu einer Plattform gegangen sind. Der Autor erstellt eine Anleitung in vier Schritten:

  1. Beginnen Sie mit einem wehrhaften Produkte und einer kritischen Masse an Nutzern.
  2. Setzen Sie auf ein hybrides Geschäftsmodell, das Zusatzwerte schafft und teilt.
  3. Sorgen Sie für eine schnelle Annahme der neuen Plattform
  4. Erkennen und nutzen Sie neune Chancen, um Nachahmer fernzuhalten.

Übertragen wir das Ganze auf den E-Commerce – aka – die Chancen eines klassischen Händlers eine Plattform zu werden. Näher eingehen möchte ich auf den ersten Punkt:

Beginnen Sie mit einem wehrhaften Produkte und einer kritischen Masse an Nutzern.

Der Autor zieht als Beispiel das chinesische Unternehmen Qihoo 360 Technology heran. Das Unternehmen startete als Anbieter einer extrem erfolgreichen Antiviren-Software. Darauf aufbauend wurde die Antiviren-Software zu einem App-Store erweitert. Es folgten ein Browser sowie eine eigene Suchmaschine. Kernkompetenz und Ausgangspunkte für Qihoo war aber immer (a) das Thema Sicherheit und (b) die Möglichkeit aus der Nutzung der Produkte extrem viel zu lernen.

Ich folge der Argumentation des „wehrhaften“ Produktes. Amazon ist durch imho v.a. (a) das gute Einkaufserlebnis mit exzellenter Logistik, (b) durch Kunden-Bewertungen und (c) das große Angebot groß geworden. Auch wenn man über den USP Angebot inzwischen streiten kann, bleiben zwei gut verteidigbare Kompetenzen.

Fragt sich nur, was das wehrhafte Produkt bei anderen E-Commerce Shops sein kann.

Klar: Einzelne Produkte bei Markenherstellern können wehrhaft sein. Aber ich bezweifele, dass um diese paar Produkte eine Plattform aufzubauen ist. Sortiment ist austauschbarer geworden und rein über Sortimentsgröße ist es imho schwer in den Markt einzutreten. Auch Logistik ist inzwischen schwer als Differenzierungsfaktor heranzuziehen. Dafür ist die Erwartungshaltung des Kunden zu hoch. Zudem sind Kunden selten so loyal, dass sich um aktive Bestandskunden herum Plattformen aufbauen lassen. Insgesamt also schwierig.

Zalando & OTTO verkaufen als Marktplätze Dritt-Produkte. Stimmt, allerdings sehe ich dies nur eine Ergänzung zu eigenen Bestandssortiment. Der überwiegende Teil des Umsatzes wird von (a) Eigenmarken und (b) selbst eingekauften Produkten kommen. Daher zählen für mich beide nicht als richtige Plattform.

Fazit: E-Commerce Plattformen – allein auf weiter Flur

Hypothese: Wir werden im E-Commerce in den nächsten Jahren nicht den Aufstieg von großen Plattformen sehen, die den überwiegenden Umsatz durch Provisionen aus dem Drittgeschäft machen. Es wird v.a. bei Amazon, Alibaba, TMall und ein wenig eBay bleiben.

Das Ganze macht E-Commerce nicht unattraktiv. Es gibt über den Aufbau von vertikalen Marken, Services um bestehende Produkte, etc. genug Möglichkeiten gute Unternehmen aufzubauen. Allerdings führt für Händler das unbedingte Streben nach einem Marktplatz/einer Plattform imho zu nichts.

Wenn neue Plattformen hochkommen, dann werden es Quereinsteiger sein. Es kann aus dem ganzen Fitness-Tracker Bereich kommen, es kann ein Uber sein oder etwas ganz anderes. Diejenigen werden bereits eine große loyale Nutzerbasis mitbringen und ihr Kernmodell um eine E-Commerce Komponente erweitern – und damit schnell an vielen traditionellen Händlern vorbeiziehen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist „Plattform werden“ für E-Commerce Unternehmen ein Traumberuf. Ja, ist es! Allerdings ist es mit Traumberufen immer so eine Sache. Nicht jeder, der früher Astronaut werden wollte, fliegt auch wirklich ins Weltall.

Fotoquelle: unsplash.com/@lucastheis


E-Commerce Junkie seit 2006 | Freund von Digitalisierung, Automatisierung und guten Online-Strategien

Kommentare anzeigen